Grätzlfestgeschichten

14.06.2018 – 28.06.2018

Filmnächte unter freiem Himmel

Im Rahmen des Grätzlfestes wurden drei Donnerstagabende zu Open-Air-Kino-Nächten. Mal war es kalt, dann war es heiß, und beim dritten Mal hat es genieselt. Jedes Mal ein anderer Ort, jedes Mal ein anderer Film, jedes Mal ein anderes Gefühl. Aber immer ein gutes. Warum ist Freiluftkino so fabelhaft? Und was zeichnet es aus?

Wie tanzende Glühwürmchen fallen erste Tropfen aus dem Nachthimmel: Der Filmprojektor lässt sie vor der Leinwand aufleuchten. Noch stören sie nicht wirklich, noch sind es nur wenige und kleine Tropfen. Das Publikum ist ohnehin gebannt vom Filmgeschehen, will nur wissen wie es ausgeht: Werden Benny und Marko, „Die Migrantigen“ (Riahi T. Amin), es schaffen, die Ausstrahlung der Sendung zu verhindern, die sie bloßstellen würde? Ein Wettlauf mit der Zeit, sowohl im Geschehen auf der Leinwand, als auch davor, auf den Sitzen und Liegen, die für dieses Open-Air-Kino-Event im Auer-Welsbach-Park aufgestellt wurden, denn es könnte ja sein, dass die Tropfen zum Regenguss werden, der ein schlagartiges Verlassen des Ortes erzwingen würde. Wobei wir schon beim ersten Charakteristikum des Freiluftkinos wären: Mit Überraschungen ist zu rechnen (#1).

Und das betrifft nicht nur das Wetter und dessen mögliches Umschlagen. Wirklich fix sind beim Thema „Freiluftkino“ nur Ort und Zeit. Wenn es sich um eine offene Veranstaltung handelt wie bei den drei Open-Air-Kino-Events im Rahmen des Grätzlfestes, gibt es weder Eintrittsgeld noch Absperrungen, weder Zuschauerbegrenzungen noch Rauchverbot. Auch Hunde sind willkommen. Wer keinen Sessel mehr bekommt, setzt sich auf Wiese oder Boden. Wer im Vorbeigehen zusehen will, ist herzlich dazu eingeladen. Wer gehen mag, wird nicht komisch angesehen. Womit wir beim zweiten Charakteristikum wären: Freiluftkino ist ein unverbindliches Vergnügen (#2). Und alles ist etwas lockerer. Immer wieder leuchten Displays von Smartphones auf, die das Geschehen dokumentieren oder den migrantigen Hauptdarsteller (Faris Rahoma) fotografieren, der tatsächlich samt Regisseur (Arman T. Riahi) vorbeigekommen ist (weiterer Beweis für #1), um die Crowd auf den Film einzustimmen. Immer wieder wird gelacht oder geredet, auch lauter als man es im Kinosaal tun würde. Man kann ordentlich in die Rumkugeln reinbeißen, ohne schlechtes Gewissen in die Chipspackung greifen, und auch Heulen ist einfacher, weil der Wind, die vorbeifliegenden Krähen oder die Geräusche der Stadt das Schmatzen, Rascheln und Schluchzen schlucken. Aber geheult wird heute nicht. Dazu macht der Film zu viel Spaß.

Und wer hat schon gerne alleine Spaß? Ein weiterer Punkt, der das Kino unter Sternen zu so einem beliebten Sommerabendprogramm macht, ist die Tatsache, dass es ein gemeinschaftliches Kulturerlebnis (#3) ist. Zu einem fixen Zeitpunkt einen ganz bestimmten Ort aufzusuchen, dort einen Film unter freiem Himmel zu sehen, den man nicht selber ausgewählt hat, im Kreise von anderen, die man nicht kennt, fühlt sich ganz anders an als das Binge-Watching von Netflix-Serien auf dem Laptop im Bett – was durchaus auch seine Berechtigung und seinen Reiz hat, allerdings ausschließlich ausgeübt zu einem Mangelgefühl führen könnte. Denn so wie geteiltes Leid bekanntlich halbes Leid ist, ist geteiltes Vergnügen doppeltes Vergnügen. Und obwohl hier 20,30 oder 40 andere mitschauen, ist man während der Vorführung auch wunderbar für sich. Anders ausgedrückt: Man badet alleine in der Energie von vielen und fühlt sich durch die gemeinsame Konzentration auf dieselbe Sache irgendwie verbunden. Und das nicht, weil man muss – wie in den 1980er und -90er Jahren, als es pro Mittelstands-Haushalt maximal einen Fernseher gab – sondern weil man will.

Freiluftkino ist also ein soziales und kulturelles Erlebnis für Frischluftfans. Aber nicht nur das. Es ist eine weitere Art, die Stadt – oder das Grätzl – besser kennen zu lernen. Daher ist die vierte Eigenschaft des Wanderkinos seine Flexibilität (#4), Skalierbarkeit inklusive – die Dimensionen reichen von der Privatveranstaltung im Gemeindebau-Innenhof bis zum Großevent am Rathausplatz. Abgesehen vom technischen Equipment, das im Nu auf- und abgebaut wird, wird nur ein Ort benötigt, der Platz bietet. Und wenn man mit offenen Augen durch die Stadt geht, entdeckt man, wie viel Platz es hier und dort gibt. Das kann ein Marktplatz sein wie jener am Schwendermarkt, wo Marie Kreutzers „Was hat uns bloß so ruiniert?“ hunderte Grätzlfest-Zuseher angelockt hat, ein Park wie der eben beschriebene Auer-Welsbach-Park oder ein öffentlicher Platz wie der kleine Friedrichsplatz, wo „Soul Kitchen“ (Fatih Akin) auf die Leinwand projiziert wurde und die Zuseher, eingewickelt in weichen Decken, unter einem großen Baum saßen, der von der Kälte ablenkte, die plötzlich über die Stadt gekommen war. Wobei wir, nun am Ende dieser Ode an das Kino unter freiem Himmel angekommen, wieder bei Charakteristikum Nummer Eins wären: Mit Überraschungen ist zu rechnen. Auch wenn es nur das Wetter ist.  

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